„Eine klare Haltung gibt Unternehmen Orientierung“
Wie können Unternehmen und andere Organisationen gesellschaftspolitischen Debatten in der Belegschaft begegnen? Franzi von Kempis, Expertin für gesellschaftspolitische Dialoge, erklärt im Interview, wie Arbeitgebende mit internen Spannungen proaktiv am besten umgehen.
Franzi, du hast gesellschaftspolitische Dialoge in ganz unterschiedlichen Organisationen initiiert und begleitet. Wo stehen Organisationen, wenn sie auf dich zukommen?
Franzi von Kempis: Es gibt vor allem zwei Ausgangspunkte: Entweder gab es einen Vorfall, der eine schnelle Reaktion erfordert. Oder die Organisation entscheidet sich vorausschauend dafür, eine offene Diskussionskultur zu etablieren. Themen aus der Gesellschaft kommen ohnehin in den Arbeitsalltag – sei es beim Mittagessen oder in Meetings. Unternehmen, die darauf vorbereitet sind, können konstruktiver mit solchen Situationen umgehen.
Das kann der Fall sein, wenn einzelne Mitarbeitende persönlich von globalen Themen betroffen sind oder wenn bestimmte Debatten immer wieder hochkochen. Dann stellt sich die Frage: Wollen wir nur reaktiv handeln, wenn etwas eskaliert, oder proaktiv eine Gesprächskultur etablieren, in der strukturiert und sicher diskutiert werden kann?
Kommt die Entscheidung, Debatten aktiv zu begegnen, eher von der Führungsebene oder von den Mitarbeitenden?
Beides ist möglich. In einigen Fällen ist es eine bewusste Entscheidung der Führungsebene, weil bestimmte Themen an Relevanz gewinnen und eine offene Auseinandersetzung notwendig ist. In anderen Fällen wächst das Bedürfnis aus der Belegschaft heraus, und die Führungsebene muss reagieren. Idealerweise gibt es aber einen Plan, sodass Führungskräfte in Organisationen nicht erst dann handeln müssen, wenn eine Krise bereits eingetreten ist.
Im Übrigen hilft so eine Vorbereitung vor allem den Führungskräften. Denn die stehen dann nicht ganz blank da, sondern haben einen Plan und wissen, wie sie vorgehen können.
Bedeutet das, dass auch die Organisation eine gesellschaftspolitische Haltung braucht?
Haltung ist nichts, was du dir von heute auf morgen geben kannst. Viele verwechseln Haltung mit Meinung. Eine Meinung ist eine konkrete, situative Aussage zu einem spezifischen Thema oder Ereignis und oft eher kurzfristiger Natur. Haltung dagegen braucht Zeit. Sie basiert auf langfristigen Überzeugungen, die das gesamte Handeln im Unternehmen mitprägen, eben auf sogenannten Unternehmenswerten und ist in der Unternehmenskultur verankert.
Daher beeinflusst Haltung bestenfalls alle Prozesse – vom Umgang mit der Belegschaft bis zur Außendarstellung.
Das wiederum bedeutet, dass eine Organisation ihre Haltung regelmäßig reflektieren und aktiv kommunizieren muss. Eine klare Haltung gibt Orientierung, insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche. Ohne eine konsistente Haltung riskieren Unternehmen, als unbeständig oder auch unklar wahrgenommen zu werden, was intern zu Unsicherheiten und extern zu Glaubwürdigkeitsverlust führt.
Wir unterstützen Sie auf dem Weg zu einer stärkeren Teamkultur:
✔ Verstehen und Sensibilisieren – Vertrauliche Gespräche, Sensibilisierung der Stakeholder und individuelle Coachings
✔ Workshops und Trainings – praxisorientiert am Beispiel typischer Situationen und individuell abstimmt
✔ Begleitung und Integration – Follow-ups, individuelle Coachings und Entwicklung von Leitlinien
Hier geht’s zu unserem Angebot: Gemeinsam für gesellschaftliche Debatten!

Haben Sie Fragen?
Vereinbaren Sie ein unverbindliches Erstgespräch mit Karim Wachholz
Karim Wachholz ✭ karim.wachholz@phineo.org ✭ +49 30 520 065 380
Müssen sich Unternehmen in gesellschaftspolitische Debatten einmischen?
Organisationen agieren nicht im luftleeren Raum. Entscheidungen der Politik – etwa zur Migration oder zu Arbeitsrechten – haben direkte Auswirkungen auf Unternehmen und ihre Belegschaften. Es geht nicht nur um Werte, sondern auch um wirtschaftliche Stabilität und Attraktivität als Arbeitgeber. Wer behauptet, Unternehmen müssen unpolitisch sein, ignoriert, dass deren Existenz von gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen abhängt. Wer etwa Fachkräfte aus dem Ausland benötigt, ist direkt betroffen, wenn politische Entscheidungen dies erschweren.
Unternehmen, die sich gesellschaftspolitischen Themen verschließen, laufen Gefahr, langfristig den Anschluss zu verlieren – sowohl in Bezug auf Mitarbeitende als auch auf ihre wirtschaftliche Entwicklung.
Welche ersten Schritte sollte eine Non-Profit-Organisation gehen, um gesellschaftspolitische Debatten intern zu fördern?
Das hängt sehr davon ab, wo die Organisation steht. Grundsätzlich sollte sich aber die Führungsebene mit dem Thema auseinandersetzen und geschult werden. Führungskräfte müssen wissen, auf welche Ressourcen sie zurückgreifen und wie sie ihre Teams moderativ unterstützen können.
Dann hilft es wie schon gesagt sehr, eine eigene Haltung zu finden, und zwar mit der Belegschaft zusammen! Ein Aushandlungsprozess, der die Menschen mitnimmt und einbindet, fördert Identifikation und Akzeptanz. Das erlebe ich in meinen Workshops immer wieder.
Dafür wiederum braucht es Räume und Strukturen für Diskussionen, damit diese produktiv geführt werden können. Dabei ist es wichtig, verschiedene Formate anzubieten – von offenen Gesprächsrunden bis hin zu geführten Workshops.
Wie geht man mit extremen oder grenzwertigen Ansichten in solchen Gesprächen um?
Führungskräfte müssen klare Grenzen setzen und menschenfeindliche Aussagen dürfen in solchen Dialogen keinen Platz haben. Es ist wichtig, betroffene Personen einzubeziehen und sie zu unterstützen. Schulungen für Führungskräfte können helfen, solche Situationen souverän zu moderieren. Eine bewusste Haltung und klare Handlungsanweisungen helfen einfach sehr, dass Debatten nicht unkontrolliert eskalieren.
Kannst du dich an einen Moment erinnern, bei dem der offene Austausch über Konflikte geholfen hat?
In einem Unternehmen gab es eine hitzige Debatte zwischen zwei Führungskräften darüber, ob man sich zu den Landtagswahlen äußern soll oder nicht. Eine Seite wollte aktiv Stellung beziehen, die andere hat das abgelehnt. In mehreren Workshops haben wir dann ganz offen über Ängste und Erwartungen gesprochen. Dabei wurde deutlich, dass hinter der Angst vor einer Positionierung Unsicherheiten standen – etwa die Sorge, dass Diskussionen eskalieren.
Am Ende sind wir zu einer Lösung gekommen, mit der alle Seiten zufrieden waren: Die Unternehmensleitung gab eine allgemeine Stellungnahme ab, während die Führungskräfte eine Handreichung erhielten, wie sie mit schwierigen Gesprächen umgehen können.
Inwiefern profitieren Organisationen von dieser aktiven Form der Auseinandersetzung?
Mitarbeitende vertrauen ihren Arbeitgebenden zunehmend mehr als politischen Institutionen und erwarten Haltung. Das zeigen verschiedene Untersuchungen. Zudem beeinflussen solche Debatten die Zufriedenheit, das Sicherheitsgefühl und damit auch die Attraktivität als Arbeitgeber*in. Wer als Unternehmen zeigt, dass er sich um gesellschaftliche Entwicklungen kümmert, wird als verantwortungsbewusst wahrgenommen. Darüber hinaus kann eine klare Haltung dazu beitragen, Fachkräfte zu gewinnen und langfristig Mitarbeitende zu binden.
Hat sich das Bedürfnis danach in den letzten Jahren verändert?
Definitiv. 2024 gab es einen spürbaren Wandel, insbesondere durch politische Entwicklungen und gesellschaftliche Debatten. Unternehmen und Organisationen haben erkannt, dass sie Haltung zeigen müssen, um als Arbeitgebende glaubwürdig zu bleiben. Es gab einen deutlichen Anstieg an Unternehmen, die sich öffentlich gegen Rechtsextremismus positionierten oder Stellung zu gesellschaftlichen Themen bezogen.
Die Herausforderung für 2025 wird sein, von bloßen Statements zu echtem Handeln zu kommen – also nicht nur zu sagen, dass man Vielfalt und konstruktiven Dialog im Unternehmen unterstützt, sondern aktiv Strukturen zu schaffen, die das auch ermöglichen.

Franzi von Kempis
Kommunikationsberaterin mit Schwerpunkt intraorganisationale Kommunikationsstrategien