Vertrauen entsteht nicht im Umlaufverfahren – wie Karlsruhe Kollaboration etabliert
Was tun, wenn klassische Verwaltungsstrukturen zu fragmentiert und unflexibel für die Gestaltung der Realität sind? Die Stadt Karlsruhe hat eine Antwort gefunden: die IQ-Arbeitsweise. Sie zeigt, wie die Verwaltung sowohl strukturell als auch kulturell auf kollaboratives Arbeiten umstellen kann. Und beantwortet damit eine der zentralen Fragen des Impact Staates: Wie gelingt echte Kollaboration in der Verwaltung?
Die deutsche Verwaltung hat sich über Jahrzehnte immer wieder an aktuelle Bedarfe angepasst und immer mehr Aufgaben übernommen. Heute ist sie hochspezialisiert und findet für fast alles eine Antwort – allerdings oft zu langsam und umständlich. Dieses System, das jahrzehntelang auf Standardisierung und Kontrolle baute, muss nun neue Fähigkeiten erlernen.
In unserer Vision vom Staat der Zukunft, dem Impact Staat, ist Kollaboration eine von fünf Kerndimensionen. Indem Verwaltung kollaborativ arbeitet, überwindet sie Silos und Zuständigkeiten, setzt auf gemeinsame Ziele statt auf Ressortgrenzen – und entwickelt Lösungen im Zusammenspiel mit anderen. Klingt gut. Nur wie lernt die Verwaltung, kollaborativ zu arbeiten?
IQ Karlsruhe: Struktur trifft Haltung
Längst ist klar: Silos hindern die Verwaltung daran, gute Lösungen für komplexe Probleme wie die Klimakrise oder Kinderarmut zu finden. Sie zu überwinden, fällt trotzdem vielen Verwaltungen schwer. Was es dafür braucht: einen strukturellen Rahmen und eine neue Haltung zum gemeinsamen Arbeiten. Die Karlsruher Verwaltung zeigt, dass es gelingen kann. Dort wurde vor einigen Jahren mit der IQ-Arbeitsweise eine neue formale Querstruktur unter dem Dach des Oberbürgermeisters geschaffen, die komplexe Zukunftsaufgaben kollaborativ und mit Hilfe agiler Methoden bearbeiten soll. Das IQ im Namen steht für innovativ und quervernetzt. Die Idee: Projekte nicht erst nacheinander in Ressortschleifen schicken, sondern von Anfang an alle relevanten Akteure an einen Tisch zu holen – ressortübergreifend, hierarchieübergreifend, verantwortungsvoll.
IQ-Arbeitsweise der Stadt Karlsruhe
Hier die wichtigsten Fakten zur IQ-Arbeitsweise in Karlsruhe:
- Einführung 2017 durch Beschluss des Gemeinderats
- Angesiedelt bei der Stabsstelle für Verwaltungs- und Managemententwicklung (VME) im Dezernat des Oberbürgermeisters von Karlsruhe
- Die Stabsstelle fungiert als zentrale Koordinations- und Prozessbegleitungseinheit.
- Die IQ-Arbeitsweise wird aktuell zur Bearbeitung von sechs Zukunftsthemen genutzt: Zukunft Innenstadt, moderne Verwaltung, soziale Stadt, Wirtschafts- und Wissenschaftsstadt, grüne Stadt sowie Stadtraum.
- Pro Zukunftsthema gibt es drei bis fünf priorisierte Zukunftsprojekte.
- Das IQ-Team besteht aus einem interdisziplinären Kernteam, das projektbezogen durch Mitarbeitende aus verschiedenen Ämtern ergänzt wird.
- Mehr Informationen gibt’s im neuen Dashboard und auf der Website der Stadt Karlsuhe.
Was macht die Karlsruher Verwaltung kollaborativer?
Aber – und das ist entscheidend – Struktur allein reicht nicht. Die Karlsruher Verwaltung etablierte auch eine neue Haltung. Denn Zusammenarbeit entsteht nicht durch ein Organigramm, sondern durch Vertrauen, Neugier und die Bereitschaft, Entscheidungsmacht zu teilen. Genau an dieser Stelle setzt die IQ-Arbeitsweise an: mit neuen Rollenverständnissen, offenen Räumen und dem Mut, Dinge anders zu machen.
Dr. Björn Appelmann leitet die Stabstelle für Verwaltungs- und Managementwicklung (VME) in Karlsruhe. Dort ist die IQ-Arbeitsweise angesiedelt. Wir haben ihn gefragt, was er anderen Verwaltungen bei der Umsetzung kollaborativer Arbeitsweisen empfiehlt.
1. Loslassen, was ausbremst: Binnenbürokratie lähmt.
Verwaltungen verbringen viel Zeit damit, sich selbst zu verwalten. Oft werden viele E‑Mails geschrieben, Zielkonflikte diffus benannt und Vorhaben an andere Stellen verwiesen. Laut Appelmann bricht die IQ-Arbeitsweise genau das auf: Sie holt die richtigen Leute früh an einen Tisch. Dazu zählen nicht nur Führungskräfte, sondern auch gezielt die Expertise und das Praxiswissen der Mitarbeitenden der operativen Ebenen. Statt endloser Abstimmungsschleifen entsteht so frühzeitig ein gemeinsames Verantwortungsgefühl: „Wenn alle am Tisch sitzen, geht es nicht mehr darum, wer zuständig ist und welche Zielkonflikte blockieren” so Appelmann.
Stattdessen drehen sich die Besprechungen dann darum, wie sie gemeinsam eine gute Lösung für alle finden – und wie diese aussehen kann. Dafür braucht es offenen Austausch und einen „Wettbewerb der Ideen“. Beides entsteht ihrer Erfahrung nach in hierarchiearmen Arbeitsgruppen, in denen mit den richtigen Methoden und guter Moderation zusammengearbeitet wird.
2. Prozesse brauchen Gastgeber*innen.
Gute Zusammenarbeit erfordert jemanden, der den Prozess steuert. In Karlsruhe ist das Aufgabe von Appelmann und seinem Team. Sie sehen sich als Gastgeber*innen ihrer angestoßenen Prozesse und agieren in dieser Rolle neutral, moderierend und verbindend. „Es braucht jemanden, der Räume für Austausch schafft, moderiert und die Fäden des Prozesses in der Hand hält. Diese Person muss jemand sein, der oder die keine eigenen Dinge durchsetzen möchte. Bei uns heißt diese Rolle Host“, erklärt Appelmann. Der Host stellt sicher, dass es allen involvierten Personen mit dem Prozess gut geht, niemand „hinten runterfällt“, alle relevanten Akteure eingebunden sind und bleiben und ein guter Rahmen alles zusammenhält.
Als Stabstelle VME hat das Team natürlich eine gewisse informelle Macht, vor allem aber ein gutes Übersichtswissen in der Organisation. Eine wichtige Aufgabe der Teammitglieder ist es, Kontakte innerhalb der Verwaltung aufzubauen und zu pflegen. Sie legen Wert auf persönliche Gespräche und führen diese regelmäßig und zu wichtigen Zeitpunkten, etwa bevor Prozesse überhaupt starten. Appelmann sieht, dass all das Früchte trägt: „Wenn wir als IQ zu einem gemeinsamen Termin einladen, nehmen mittlerweile alle teil – auch wenn es Differenzen zwischen Ämtern gibt“.
Dr. Björn Appelmann
„Am Ende soll ja etwas rumkommen. Dafür braucht es echtes Commitment – nicht nur Teilnahme.”
3. Verantwortung mit anderen teilen und tragen
Mit der IQ-Arbeitsweise arbeiten bedeutet auch: Wer dabei ist, trägt Verantwortung. Zielkonflikte werden nicht ausgesessen, sondern offengelegt und gemeinsam verhandelt. „Am Ende soll ja etwas rumkommen. Dafür braucht es echtes Commitment – nicht nur Teilnahme“, betont Appelmann. So sei allen Beteiligten klar: Wer mit der IQ-Arbeitsweise und dem Team aus der Stabstelle VME ein Projekt bearbeitet, ist herausgefordert, Zielkonflikte beiseitezuräumen und dabei zu helfen, eine gute Lösung zu finden. Wenn nichts mehr geht, wird der OB involviert – nicht als Drohung, sondern als Entscheidungsinstanz, wie Appelmann sagt: „Das ist nicht immer die beste Lösung und definitiv immer das letzte Mittel, zu dem wir greifen“. In diesen Fällen werden alle Informationen aufbereitet und dem Oberbürgermeister präsentiert, damit er eine Haltung entwickeln und eine Entscheidung treffen kann.
4. Vertrauen kann man sich erarbeiten.
Gute Kollaboration basiert auf Beziehungen. Das Team der Stabstelle VME investiert deshalb viel Zeit in persönliche Gespräche, demonstriert ehrliches Interesse und bleibt beharrlich – trotz Skepsis oder Widerständen. Es legt Wert darauf, dass leise Stimmen genauso gehört werden wie laute. Das Ergebnis ist nicht immer nur die Lösung am Ende, sondern die Tatsache, dass Menschen kommen – trotz fachlicher oder persönlicher Differenzen. Und das zahlt sich laut Appelmann aus: „Mittlerweile nehmen die Verwaltungsmitarbeitenden an den Terminen nicht teil, weil sie müssen, sondern weil sie wissen: Hier zählt meine Perspektive und ich werde gehört.“
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5. Erfolg ist die beste Antwort auf Widerstand.
Auch die IQ-Arbeitsweise stieß im Laufe der Zeit auf Widerstand. Als Stabstelle des Oberbürgermeisters verfügt das Team über Einblicke in andere Dezernatsbereiche. Das war zunächst für viele ungewohnt und schürte Misstrauen. „Sachfragen sind immer auch Machtfragen“ sagt Appelmann. Einige Ämter schickten Gegenwind – z. B. in Form von Mitarbeitenden, die viel Erfahrung damit besaßen, die Dinge auszusitzen. Statt Vernetzung, Offenheit und Transparenz gab es bremsendes Verhalten, hartnäckige Zweifel und ständiges Festhalten an Bestehendem.
Das Team der Stabstelle VME blieb nicht nur beharrlich, sondern auch überzeugt vom eigenen Ansatz: „Wir wurden nie unsicher und sahen Kritik auch als Chance. So haben wir immer wieder geschaut, was wir verändern müssen, damit wir noch mehr Menschen überzeugen können.“ Das zahlte sich aus. Und auch wenn es zu Beginn wenige Akteure gab, die Lust hatten kollaborativ zu arbeiten, wurden diese besonders unterstützt. „Unsere Devise lautet: Erfolg macht attraktiv. Wir helfen denen, die motiviert sind und mitmachen wollen. Wer mitzieht, bekommt Rückenwind – und die Sichtbarkeit, die Veränderung braucht“, so Appelmann. Diese Resonanz war ein wichtiger Schlüssel für mehr Akzeptanz. Vor einigen Jahren mussten Appelmann und sein Team Projekte von der IQ-Arbeitsweise überzeugen. Heute klopfen neue Vorhaben von allein an ihrer Tür.
Was können andere Verwaltungen daraus lernen?
Die IQ-Arbeitsweise aus Karlsruhe ist kein fertiges Modell zum Kopieren – aber ein starkes Beispiel dafür, wie Verwaltung sich neu aufstellen kann. Durch neue und klare Rollen, mehr Raum für Zwischenmenschliches und den Mut, Neues zuzulassen. Für andere Verwaltungen heißt das: Zusammenarbeit braucht nicht nur Struktur und Haltung, sondern auch Ausdauer.
Die Einführung der IQ-Arbeitsweise war keineswegs konfliktfrei. Trotz Skepsis und Widerstand blieb das Team dran – überzeugte mit kleinen Erfolgen und etablierte Schritt für Schritt eine neue, kollaborative Arbeitsweise. Dafür braucht es Menschen, die Räume schaffen, Entscheidungen ermöglichen – und den Wandel über Zeit begleiten. Karlsruhe zeigt, dass Verwaltung das leisten kann.
Im Sinne des Impact Staates ist die IQ-Arbeitsweise eine konkrete Antwort auf eine abstrakte Herausforderung: Wie wird Verwaltung zukunftsfähig? Die Antwort beginnt nicht mit einer neuen Software, sondern mit der Frage: Wie arbeiten wir eigentlich zusammen?