Bür­ger­meis­ter war­nen: Wir sind über­re­gu­liert und unterfinanziert“

03.09.2025

Was pas­siert, wenn die Kom­mu­nen nicht mehr in der Lage sind, grund­le­gen­de Auf­ga­ben zu erfül­len? Im März 2025 ver­deut­lich­ten 22 Bürgermeister*innen in einem offe­nen Brief: Davon sind wir nicht mehr weit ent­fernt. Wir spra­chen mit drei von Ihnen dar­über, wie der Man­gel an Res­sour­cen und zu viel Büro­kra­tie das Rück­grat des Staa­tes gefähr­den. Gleich­zei­tig wird deut­lich: Die kom­mu­na­le Kri­se ist eine Kri­se der Demo­kra­tie und auch ein Hebel für ihre Erneuerung.

Die kom­mu­na­le Ebe­ne ist das Fun­da­ment des Staa­tes. Nir­gend­wo sonst sind die Bürger*innen der Demo­kra­tie so nah wie hier – in ihrer eige­nen Stadt bzw. Gemein­de. Ein zukunfts­fä­hi­ger Staat muss auch des­halb kom­mu­na­le Akteu­re befä­hi­gen, statt zu blo­ckie­ren. War­um also reagier­ten weder Lan­des- noch Bun­des­re­gie­rung mit einem Gesprächs­an­ge­bot auf den offe­nen Brief der 22 hes­si­schen Bürgermeister*innen? Ihre feh­len­den Reak­tio­nen sym­bo­li­sie­ren eine kom­ple­xe Dis­kus­si­on: Inwie­fern muss die Zusam­men­ar­beit zwi­schen Bund, Län­dern und Kom­mu­nen für einen hand­lungs­fä­hi­gen, demo­kra­tisch resi­li­en­ten und wir­kungs­ori­en­tier­ten Staat über­dacht wer­den?

22 hes­si­sche Bürgermeister*innen unter­schrie­ben im März 2025 einen offe­nen Brief mit dem Betreff: Kom­mu­na­le Finanz­not gefähr­det Demo­kra­tie – Drin­gen­der Hand­lungs­be­darf in den Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen“. Abge­se­hen von weni­gen Stan­dard­ant­wort­schrei­ben aus Abge­ord­ne­ten­bü­ros gab es kei­ne Reak­tio­nen. Zurück blei­ben 22 enga­gier­te Bürgermeister*innen, die zwar Lösungs­vor­schlä­ge für ihre Pro­ble­me haben, nur will sie schein­bar nie­mand hören. Wir haben mit Drei­en von Ihnen dazu gesprochen. 

Mat­thi­as Baaß (SPD) ist seit bald 30 Jah­ren Bür­ger­meis­ter von Viern­heim mit ca. 35.000 Einwohner*innen. Er wünscht sich, dass Lan­des- und Bundespolitiker*innen zuhö­ren, den Dia­log mit der Kom­mu­nal­ebe­ne aktiv suchen und fra­gen: Was ist bei euch pas­siert, dass es die­sen Brief braucht?

Hel­mut Glanz­ner (par­tei­los), seit 11 Jah­ren Bür­ger­meis­ter in Ein­hau­sen (ca. 6.500 Einwohner*innen), wünscht sich, dass Kom­mu­nen nicht nur mit ihrer Kri­tik, son­dern auch mit ihren Gestal­tungs­vor­schlä­gen sicht­ba­rer und ernst genom­men wer­den. Politiker*innen könn­ten sei­ner Mei­nung nach viel stär­ker von den Erfah­rungs­wer­ten der Kom­mu­nen pro­fi­tie­ren, indem sie gezielt nachfragen.

Mar­tin Hölz (par­tei­los) ist seit 2 Jah­ren Bür­ger­meis­ter von Hirsch­horn, einer Stadt mit ca. 3.500 Einwohner*innen. Er wünscht sich mehr Opti­mis­mus und Wert­schät­zung für das, was in den Kom­mu­nen bereits funk­tio­niert. Oft wür­de zu sehr auf die Her­aus­for­de­run­gen geschaut, wäh­rend die vie­len posi­ti­ven Ent­wick­lun­gen und das Enga­ge­ment der Men­schen vor Ort zu wenig Aner­ken­nung fän­den. Ihm ist wich­tig, dass wir als Gesell­schaft das, was schon gut läuft, stär­ker wert­schät­zen und mit Zuver­sicht und Mut die kom­men­den Auf­ga­ben angehen.

Nitt­a­ya Fuchs: Herr Baaß, Sie haben die Finanz­not der Kom­mu­nen in Ihrem offe­nen Brief deut­lich auf­ge­zeigt. Sie schrei­ben dar­in, dass die Kri­se der Kom­mu­nen auch eine Kri­se der Demo­kra­tie ist. Wie kom­men Sie von der feh­len­den finan­zi­el­len Unter­stüt­zung Ihrer Kom­mu­nen zur brö­ckeln­den deut­schen Demokratie?

Mat­thi­as Baaß: Ers­tens: Wir sind mit unse­ren Pro­ble­men und For­de­run­gen nicht allein. Wie uns geht es vie­len Kom­mu­nen deutsch­land­weit. Zwei­tens: Die Kom­mu­nen sind das Fun­da­ment unse­res Staa­tes. Wir sind die Ver­bin­dung zwi­schen Staat und Bürger*innen. Wir arbei­ten direkt mit den Bürger*innen, hören ihre Sor­gen und müs­sen ihnen Lösun­gen anbie­ten. Wir sind für die direk­te Ver­sor­gung und den sozia­len Frie­den vor Ort ver­ant­wort­lich. Doch wäh­rend unse­re Auf­ga­ben immer viel­fäl­ti­ger und umfang­rei­cher wer­den, ver­än­dert sich die finan­zi­el­le Unter­stüt­zung vom Bund nicht oder sogar zum Nega­ti­ven. Die Bürger*innen ver­lie­ren ihr Ver­trau­en in den Staat und das poli­ti­sche Sys­tem, wenn Leis­tun­gen ein­fach weg­bre­chen, Steu­ern trotz­dem stei­gen und sich die Lebens­qua­li­tät nicht erhöht oder gar sinkt. Das hat Aus­wir­kun­gen auf das Ver­trau­en in und den Glau­ben an die Demokratie.

Nitt­a­ya Fuchs: Was kommt von die­ser Kri­se der Kom­mu­nen und Demo­kra­tie bei den Bürger*innen an?

Mar­tin Hölz: Kurz gesagt: Bürger*innen mes­sen Demo­kra­tie in ers­ter Linie an den kon­kre­ten Out­puts, die sie im All­tag erle­ben – zum Bei­spiel dar­an, ob ein Spiel­platz fer­tig­ge­stellt oder eine Kita-Platz­ga­ran­tie erfüllt wird. Wenn das nicht pas­siert, wächst die Poli­tik­ver­dros­sen­heit. Das führt wie­der­um zu einem Ver­trau­ens­ver­lust, der lang­fris­tig die demo­kra­ti­sche Kul­tur gefährdet.

Hel­mut Glanz­ner: Wenn wir als Kom­mu­nen kei­ne gute Ver­sor­gung stel­len kön­nen, lei­den sozia­le Sta­bi­li­tät, wirt­schaft­li­che Exis­ten­zen und der gesell­schaft­li­che Zusam­men­halt in den Gemein­den. So öff­nen sich Türen für extre­mis­ti­sche Strö­mun­gen, die ein­fa­che Ant­wor­ten auf kom­ple­xe Pro­ble­me versprechen.

Nitt­a­ya Fuchs: Herr Glanz­ner, was for­dern Sie kon­kret von der Poli­tik, um die Kom­mu­nen zu ent­las­ten und ihnen die Mög­lich­keit zu geben, das Ver­trau­en in die Demo­kra­tie zu stärken?

Hel­mut Glanz­ner: Zu oft über­tra­gen uns Bun­des- und Lan­des­re­gie­rung Auf­ga­ben, ohne die pas­sen­den Mit­tel zur Ver­fü­gung zu stel­len. Dadurch feh­len nicht nur Res­sour­cen. Wir bekom­men gleich­zei­tig auch immer mehr Vor­ga­ben dafür, wie Auf­ga­ben erle­digt wer­den müs­sen. Kurz gesagt: Wir sind über­re­gu­liert und unter­fi­nan­ziert. Bei­des hin­dert uns dar­an, effek­ti­ve Lösun­gen zu ent­wi­ckeln. Dafür tra­gen wir als gewähl­te Vertreter*innen aber eine Ver­ant­wor­tung. Ganz kon­kret geht es auch um das The­ma Glaub­wür­dig­keit: Wenn wir Bürgermeister*innen den Bürger*innen Ver­spre­chen geben und die­se dann auf­grund von Ent­schei­dun­gen auf Lan­des- oder Bun­des­ebe­ne nicht hal­ten kön­nen, ero­diert nicht nur das Ver­trau­en in uns, son­dern auch in das poli­ti­sche Sys­tem. Wir brau­chen mehr Ent­schei­dungs­frei­heit und fle­xi­ble Mit­tel­ver­wen­dung, statt zahl­rei­cher, enger Vor­schrif­ten. Wenn uns die­ser Raum zur Gestal­tung gege­ben wird, kön­nen wir vor Ort pas­sen­de Lösun­gen ent­wi­ckeln und gleich­zei­tig das Ver­trau­en in den Staat stärken.

Hel­mut Glanz­ner (par­tei­los), Bür­ger­meis­ter von Einhausen

Wenn uns die­ser Raum zur Gestal­tung gege­ben wird, kön­nen wir vor Ort pas­sen­de Lösun­gen ent­wi­ckeln und gleich­zei­tig das Ver­trau­en in den Staat stärken.”

Nitt­a­ya Fuchs: Das sind kei­ne neu­en oder über­ra­schen­den For­de­run­gen. War­um sind sie den­noch (wie­der) in Form eines offe­nen Brie­fes notwendig?

Mat­thi­as Baaß: Es zehrt an den Kräf­ten, dass wir uns wie­der und wie­der Gehör ver­schaf­fen müs­sen, ohne dass ech­te Ver­än­de­run­gen fol­gen. Der offe­ne Brief ist ein Ver­such, auf die Miss­stän­de auf­merk­sam zu machen – nicht nur in unse­rem Land­kreis, son­dern deutsch­land­weit. Wir wis­sen, dass wir mit unse­ren Sor­gen nicht allein sind. Aber die Reak­tio­nen von Lan­des- und Bun­des­ebe­ne auf unse­ren Brief gin­gen gegen null.

Nitt­a­ya Fuchs: Wel­che Reak­ti­on hät­ten Sie sich denn gewünscht?

Hel­mut Glanz­ner: Was wir brau­chen, ist ein Dia­log, einen ech­ten Aus­tausch zwi­schen Kom­mu­nen und den poli­ti­schen Entscheidungsträger*innen ande­rer Ebe­nen. Ein Gesprächs­an­ge­bot aus die­sen Rich­tun­gen zu den Inhal­ten des Brie­fes wäre eine gute Reak­ti­on gewe­sen. Wir haben Land­tags- und Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te, die unse­re Sor­gen wei­ter­tra­gen soll­ten. Statt­des­sen ent­steht bei uns der wie­der­keh­ren­de Ein­druck, dass unse­re Pro­ble­me von Land und Bund nicht wirk­lich ernst genom­men werden.

Nitt­a­ya Fuchs: Nun enga­gie­ren sich vie­le Akteur*innen inner­halb und außer­halb der Ver­wal­tung und Poli­tik für eine Staats­trans­for­ma­ti­on. Eine Haupt­mo­ti­va­ti­on für die­se Trans­for­ma­ti­on ist es, das Ver­trau­en der Bürger*innen in Staat und Demo­kra­tie zu stär­ken. Geht das mit Ihren For­de­run­gen Hand in Hand, Herr Hölz?

Mar­tin Hölz: Auf eine gewis­se Art ja, denn es geht uns wie gesagt nicht nur um mehr Geld, son­dern auch um mehr Ent­schei­dungs­frei­heit. Wir wün­schen uns weni­ger Büro­kra­tie und mehr Fle­xi­bi­li­tät bei der Ver­wen­dung von Mit­teln und bei der Haus­halts­füh­rung. Momen­tan sind wir gefan­gen in einem Sys­tem, das uns nur weni­ge Frei­räu­me lässt, um inno­va­tiv und im Sin­ne der Staats­trans­for­ma­ti­on zu han­deln. Damit sie Rea­li­tät wird, brau­chen wir auf jeden Fall eine Ver­än­de­rung in der Zusam­men­ar­beit mit Bund und Land, sodass die­se uns nicht nur Auf­ga­ben über­tra­gen, son­dern uns auch die nöti­gen Mit­tel und Frei­räu­me geben, um Lösun­gen zu finden.

Mar­tin Hölz (par­tei­los), Bür­ger­meis­ter in Hirschhorn

Momen­tan sind wir gefan­gen in einem Sys­tem, das uns nur weni­ge Frei­räu­me lässt, um inno­va­tiv und im Sin­ne der Staats­trans­for­ma­ti­on zu handeln.”

Nitt­a­ya Fuchs: Das neue Minis­te­ri­um für Digi­ta­li­sie­rung und Staats­or­ga­ni­sie­rung (BMDS) wird als gro­ßer Schritt zur Staats­mo­der­ni­sie­rung gese­hen. Ange­nom­men, das Minis­te­ri­um erfüllt Ihre Erwar­tun­gen: Was wür­de sich dann kon­kret für Kom­mu­nen verändern?

Mat­thi­as Baaß: In die­sem Fall wür­de das BMDS vor allem dafür sor­gen, dass wir wie­der mehr Hand­lungs­spiel­räu­me bekom­men und gleich­zei­tig Büro­kra­tie abge­baut wird. Kon­kret hie­ße das: mehr Fle­xi­bi­li­tät, mehr Ent­schei­dungs­frei­heit, kei­ne zusätz­li­chen Vor­schrif­ten – mehr kom­mu­na­le Selbstverwaltung.

Mar­tin Hölz: Das Minis­te­ri­um müss­te Koope­ra­ti­ons­struk­tu­ren zwi­schen den ver­schie­de­nen Ebe­nen för­dern, sodass Kom­mu­nen nicht nur Auf­ga­ben über­tra­gen bekom­men, son­dern auch aktiv in Ent­schei­dun­gen auf Lan­des- und Bun­des­ebe­ne ein­ge­bun­den wer­den. Es wür­de uns die Frei­heit las­sen, Lösun­gen vor Ort schnell umzu­set­zen, anstatt uns mit lang­wie­ri­gen Geneh­mi­gungs­pro­zes­sen zu brem­sen. Die­se Ver­än­de­run­gen wür­den es uns als Kom­mu­nen ermög­li­chen, inno­va­ti­ver und agi­ler zu han­deln und vor allem mutig neue Lösun­gen aus­zu­pro­bie­ren, um den Her­aus­for­de­run­gen vor Ort zu begegnen.

Nitt­a­ya Fuchs: Ihre For­de­run­gen betref­fen vor allem ver­bes­ser­te Rah­men­be­din­gun­gen für Kom­mu­nen. Gleich­zei­tig gibt es Din­ge, die auf kom­mu­na­ler Ebe­ne trotz her­aus­for­dern­der Bedin­gun­gen gut funk­tio­nie­ren. Wel­che Erfolgs­fak­to­ren sind das, die Kom­mu­nen aus­zeich­nen und die es zu stär­ken gilt? 

Mar­tin Hölz: Die Nähe zu den Men­schen ist ein wich­ti­ger Erfolgs­fak­tor. Wir wis­sen, was vor Ort gebraucht wird und kön­nen prag­ma­tisch dar­auf reagie­ren. Auch die Moti­va­ti­on der Mit­ar­bei­ten­den und Bürgermeister*innen ist enorm wich­tig: Wir erle­ben immer wie­der, wie vie­le Ver­wal­tungs­mit­ar­bei­ten­de mit den vor­han­de­nen Mit­teln Lösun­gen fin­den wol­len – trotz schwie­ri­ger Rah­men­be­din­gun­gen. Außer­dem konn­ten wir durch inter­kom­mu­na­le Zusam­men­ar­beit vie­le Pro­ble­me gemein­sam lösen. Das hilft uns dabei, die begrenz­ten Res­sour­cen effi­zi­ent zu nutzen. 

Hel­mut Glanz­ner: Unse­re Ent­schei­dungs­frei­heit und Hand­lungs­fä­hig­keit sind genau­so zen­tra­le Erfolgs­fak­to­ren. Genau­so wie das mit­ein­an­der und für­ein­an­der. Wir neh­men uns Zeit für unse­re Bürger*Innen und deren Sor­gen und Pro­ble­me. Dabei fin­den wir gemein­sam oft die rich­ti­gen Lösun­gen. Manch­mal muss man prag­ma­tisch han­deln, um Lösun­gen zu fin­den. Das fällt aus mei­ner Sicht auf kom­mu­na­ler Ebe­ne oft leich­ter und ist ein wei­te­rer wich­ti­ger Erfolgs­fak­tor, auch zur Stär­kung der Demokratie

Nitt­a­ya: Umso wich­ti­ger ist es, dass Kom­mu­nen mutig sind, oder? 

Mat­thi­as Baaß: Also, wenn es eine muti­ge und ent­schei­dungs­freu­di­ge Ebe­ne gibt, dann ist es die kom­mu­na­le Ebe­ne! Wenn wir mehr Frei­hei­ten bekä­men, wäre es das gerings­te Pro­blem, die­sen Mut und die­se Ent­schei­dungs­freu­de zu nut­zen. Wir könn­ten dann in unse­rem eige­nen Tem­po han­deln und Ent­schei­dun­gen schnell umsetzen. 

Mar­tin Hölz: Wir ver­ste­hen uns auch als Ermöglicher*innen‘ auf loka­ler Ebe­ne – als Akteu­re, die durch prag­ma­ti­sche, schnel­le und lösungs­ori­en­tier­te Ansät­ze einen direk­ten posi­ti­ven Impact auf das Leben der Men­schen haben kön­nen. Und mit muti­gen Ent­schei­dun­gen ist die Fra­ge ver­bun­den: Wer über­nimmt die Ver­ant­wor­tung für Feh­ler – wenn sie denn pas­sie­ren? Wir suchen als Gesell­schaft ger­ne und häu­fig eine*n Schuldige*n. Das führt nicht nur dazu, dass weni­ger Men­schen Ver­ant­wor­tung über­neh­men wol­len. Viel­mehr han­delt man so, dass mög­lichst gar kei­ne Ver­ant­wor­tung an einem selbst hän­gen bleibt – aus Angst davor, für Feh­ler abge­straft zu werden. 

Mar­tin Hölz (par­tei­los), Bür­ger­meis­ter in Hirschhorn

Mit muti­gen Ent­schei­dun­gen ist die Fra­ge ver­bun­den: Wer über­nimmt die Ver­ant­wor­tung für Feh­ler – wenn sie denn passieren?”

Nitt­a­ya Fuchs: Was müss­te sich aus Ihrer Sicht ver­än­dern, damit mehr poli­ti­sche Entscheidungsträger*innen auf allen Ebe­nen wie­der den Mut fin­den, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men – auch wenn das bedeu­tet, Feh­ler zu machen und im Zwei­fels­fall mit Kri­tik oder Schuld­zu­wei­sun­gen kon­fron­tiert zu werden?

Mat­thi­as Baaß: Mei­ner Erfah­rung nach kommt man in sol­chen Fäl­len nur mit Ehr­lich­keit, Offen­heit und Trans­pa­renz wei­ter. Wenn etwas nicht opti­mal gelau­fen ist, muss man es beken­nen und erklä­ren, war­um es so war. Letzt­lich kön­nen wir nur hof­fen, dass sich die Bürger*innen ein aus­ge­wo­ge­nes Gesamt­bild machen und ver­schie­de­nen Aspek­te berück­sich­ti­gen. Das hängt auch sehr von den Medi­en ab, die in unse­rer heu­ti­gen Zeit oft eher auf Auf­re­gung und Skan­da­li­sie­rung set­zen, um Auf­merk­sam­keit zu erzeu­gen. Aber wir müs­sen den Mut haben, uns auch mit Feh­lern zu zei­gen und die­se als Teil des Lern­pro­zes­ses zu akzeptieren.

Hel­mut Glanz­ner: Ich bin über­zeugt davon, dass die Bürger*innen dank­bar sind, wenn wir ehr­lich und trans­pa­rent agie­ren, wenn wir Grün­de dafür nen­nen, war­um ein Pro­jekt nicht gänz­lich posi­tiv ver­lau­fen ist. Ver­ein­fach­te Rah­men­be­din­gun­gen müs­sen umge­hend geschaf­fen wer­den, um Men­schen vor Ort für das wich­ti­ge Ehren­amt in den Gre­mi­en der Kom­mu­nen zu begeis­tern. Wir sind dann als Bürgermeister*innen auch gefor­dert, Klar­heit zu schaf­fen und auf­zu­zei­gen, war­um etwas nicht zum gewünsch­ten Erfolg geführt hat. Wir müs­sen authen­tisch blei­ben und die Wahr­heit sagen. Und damit sind wir im Übri­gen wie­der beim ein­gangs erwähn­ten The­ma der Glaub­wür­dig­keit. Gleich­zei­tig ist es unse­re Auf­ga­be, auch die zahl­rei­chen gelun­ge­nen Pro­jek­te und Maß­nah­men vor Ort zu erwäh­nen, denn die­se sind oft durch ziel­ge­rich­te­tes, lösungs­ori­en­tier­tes Arbei­ten gemein­sam mit den poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­gern geschaf­fen wor­den. Das soll gleich­zei­tig Moti­va­ti­on sein, sich poli­tisch zu enga­gie­ren, um mit­zu­wir­ken und sei­ne Hei­mat zu gestal­ten. Die Kom­mu­nen sind der Ort der Wahrheit!

Fazit: Kom­mu­nen als Mög­lich­keits­räu­me der Staatstransformation

Das Gespräch mit den Bür­ger­meis­tern ver­deut­licht: Die Kri­se der Kom­mu­nen ist nicht nur eine Kri­se der Demo­kra­tie, son­dern auch eine Chan­ce zur Erneue­rung. Sie sind Grund­la­ge des Staa­tes und Orte, an denen Demo­kra­tie und Trans­for­ma­ti­on greif­bar wer­den. Die enga­gier­ten Men­schen in den Kom­mu­nen bemü­hen sich, trotz erschwer­ter Bedin­gun­gen gute Arbeit für die Bürger*innen vor Ort zu leis­ten. Vie­les wird dadurch mög­lich und gut – was viel­leicht auch ein Grund dafür ist, dass der Hand­lungs­druck für die Poli­tik nicht stär­ker spür­bar ist.

Die Nähe der Kom­mu­nen zu den Bürger*innen, ihre Fle­xi­bi­li­tät und ihr Enga­ge­ment machen sie zu idea­len Labo­ren für staat­li­che Inno­va­tio­nen. Doch damit Kom­mu­nen ihre Poten­zia­le aus­schöp­fen kön­nen, braucht es mehr als nur bes­se­re Rah­men­be­din­gun­gen. Es braucht einen inne­ren Wan­del: neue For­men der Zusam­men­ar­beit, eine Kul­tur des Ler­nens und der Feh­ler­freund­lich­keit, sowie ein muti­ges Umden­ken in den Struk­tu­ren und Pro­zes­sen. Hin­zu kommt, dass die ver­schie­de­nen staat­li­chen Ebe­nen in Deutsch­land zu stark von­ein­an­der ent­kop­pelt sind. Wenn dies nicht geän­dert wird, blei­ben ech­te Zusam­men­ar­beit und die Umset­zung kom­mu­na­ler Poten­zia­le aus.

Kom­mu­nen sind bereit, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men – nun muss der Staat sie als akti­ve Gestal­ter der Trans­for­ma­ti­on aner­ken­nen und ech­te Co-Gover­nan­ce ermög­li­chen. So wird aus der kom­mu­na­len Kri­se ein demo­kra­ti­scher Mög­lich­keits­raum, in dem die Zukunft des Staa­tes neu­ge­stal­tet wird.

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