„Mobilitätswende bedeutet nicht Verlust, sondern mehr Lebensqualität“
Ein Gespräch mit Burkhard Horn, Verkehrsexperte und Berater der Initiative Mobilitätskultur, über Chancen, Stolpersteine und die Rolle der Zivilgesellschaft auf dem Weg zur nachhaltigen Mobilitätswende.
Hallo Burkhard! Wie nimmst du den aktuellen Stand der Mobilitätswende in Deutschland wahr – gesellschaftlich und politisch?
Ich glaube, die Menschen sind oft schon weiter als die Politik. Gerade in Städten ist sichtbar, dass sich das Mobilitätsverhalten verändert: mehr Fahrrad, mehr zu Fuß, weniger Auto. Der öffentliche Nahverkehr hat sich nach der Pandemie gut erholt. Und in vielen Kommunen geht man die Themen längst mutiger an, als es auf Bundesebene wahrgenommen wird.
Problematisch ist aber, dass die Bundespolitik häufig bremst oder sogar rückwärts geht. Nach jeder Wahlperiode wird oft vieles wieder zurückgedreht. Wir bräuchten eine klare Richtung – auch kommunikativ. Statt zu sagen: „Keine Sorge, alles bleibt, wie es ist“, sollte die Botschaft sein: „Ja, Veränderung ist nötig – aber sie kann unser Leben besser machen.“ Das fehlt weitgehend.

Burkhard Horn setzt sich für nachhaltige Mobilität und lebenswerte Städte ein. Über 25 Jahre war er in der öffentlichen Verkehrsplanung tätig, unter anderem im Berliner Senat. Heute berät er Kommunen und zivilgesellschaftliche Akteure an der Schnittstelle von Mobilität, Stadtentwicklung und Klimaschutz – auch in der Initiative Mobilitätskultur.
Und wie sieht es auf kommunaler Ebene aus – wo siehst du dort Chancen, wo Hürden?
Die Kommunen sind der Ort, wo die Mobilitätswende konkret wird. Dort bewegen sich die Menschen, dort nehmen sie ihr Umfeld wahr. Viele Städte haben auch gute Konzepte, es mangelt aber oft an Ressourcen oder am rechtlichen Rahmen. Zum Beispiel das Straßenverkehrsrecht: Mit der jüngsten Novelle von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrsordnung (StVO) wurde zwar schon einiges erreicht, etwa die Aufnahme von Zielen wie Klimaschutz ins StVG oder die erleichterte Anordnung bestimmter Maßnahmen in der StVO. Aber oft gelten wichtige Maßnahmen immer noch als Ausnahmen, die mühsam begründet werden müssen.
Und dann ist da das große Thema Finanzierung: Viele Städte müssten und wollen eigentlich den ÖPNV ausbauen – aber müssen Leistungen kürzen, weil ihnen das Geld fehlt. Auch der Fördermitteldschungel hilft oft nur bedingt weiter. Für die Bereitschaft zum Wandel in der Gesellschaft ist der Bund wie schon erwähnt definitiv mitverantwortlich und kann durch kontraproduktive Kommunikation veränderungswilligen Kommunen das Leben schwerer machen.
Du hast gesagt, dass die Menschen oft weiter sind als die Politik. Gleichzeitig gibt es ja auch viele Ängste und Widerstände. Wie erklärst du dir das?
Veränderung wird häufig als Verlust empfunden – gerade bei der Mobilität. Wenn man den Leuten sagt: Du sollst dein Auto weniger nutzen, dann ist das für viele erstmal ein Einschnitt in Routinen, in Gewohntes. Dazu kommt: Die Alternativen sind oft nicht bekannt oder nicht attraktiv genug.
Wir müssen als Gesellschaft viel stärker den Mehrwert des Wandels zeigen. Mobilitätswende ist ja kein Verzichtsprogramm, sondern eine Chance auf mehr Lebensqualität, auf gesündere Städte, auf weniger Lärm und mehr Sicherheit. Aber dafür braucht es eine positive, mutmachende Kommunikation – und die fehlt bislang weitgehend. Allerdings darf man auch keine Versprechungen machen, die nicht zu halten sind. Im ländlichen Raum etwa wird das Auto auch auf längere Sicht weiterhin eine zentrale Rolle spielen.
„Die Verkehrswende braucht ehrliche Kommunikation. Veränderung ist nötig – aber sie sollte als Chance, nicht als Bedrohung vermittelt werden.”
Burkhard Horn
Wie gelingt es, verschiedene Bevölkerungsgruppen bei dieser Veränderung mitzunehmen – auch mit Blick auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe?
Das ist zentral. Mobilitätswende kann nur funktionieren, wenn sie gerecht gedacht wird. Es bringt nichts, mit dem moralischen Zeigefinger auf SUV-Fahrer*innen zu zeigen. Und es bringt auch nichts, wenn sich Projekte ausschließlich auf urbane, akademisch geprägte Milieus fokussieren.
Viele Verkehrsinitiativen haben einen nachvollziehbaren Fokus, aber der Kontext wird oft ausgeblendet. Wenn sich Projekte nur auf Innenstadtquartiere konzentrieren, fühlen sich Menschen in den Außenbezirken oder im ländlichen Raum abgehängt. Dabei brauchen wir Lösungen für unterschiedliche Lebenslagen – und das heißt auch: Verständnis zeigen für reale Mobilitätszwänge. Nicht jede*r kann einfach mal so das Auto stehen lassen. Es braucht Angebote, nicht nur Appelle.
Welche Rolle spielt dabei die Zivilgesellschaft?
Ich finde: eine enorm wichtige. Zivilgesellschaftliche Initiativen haben oft eine viel höhere Glaubwürdigkeit als staatliche Stellen. Wenn Bürgerinnen und Bürger selbst aktiv werden, eigene Projekte starten, dann hat das eine andere Wirkung – es ist näher dran am Alltag, an den realen Bedürfnissen. Und es macht den Wandel greifbarer.
Zivilgesellschaft kann Dinge sichtbar machen, neue Perspektiven eröffnen, Menschen mitnehmen – gerade, wenn es darum geht, Mobilität nicht nur technisch, sondern auch kulturell zu verändern. Deshalb finde ich es auch so wichtig, dass es Förderstrukturen gibt, die genau solche Initiativen stärken.
Was macht die Initiative Mobilitätskultur in diesem Zusammenhang besonders?
Die Initiative verfolgt einen ganz eigenen, starken Ansatz: Sie fördert gezielt zivilgesellschaftliche Mobilitätsprojekte, die übertragbar sind, Wirkung entfalten und andere Akteure mitdenken. Also nicht nur Leuchttürme im eigenen Kiez, sondern Projekte, die sich multiplizieren lassen – mit echter Strahlkraft.
Außerdem legt die Initiative viel Wert auf Austausch und gegenseitiges Lernen. Ich finde es großartig, wie viele engagierte Menschen es auch außerhalb der Großstädte gibt, in kleinen Orten, in ländlichen Räumen – und wie viel Potenzial da liegt. Oft ist gerade dort der Zugang zu Fördermitteln schwierig, und da ist es besonders wichtig, dass es Programme wie die Initiative Mobilitätskultur gibt.
Gibt es Leuchtturmprojekte, von denen wir lernen können – in Deutschland oder international?
Du meinst außer den Projekten der Initiative Mobilitätskultur? Ein paar fallen mir da schon ein, aber nicht alle sind eins zu eins übertragbar. Trotzdem kann man natürlich viel von Ihnen lernen. International zum Beispiel Paris: Die Stadt hat unter klarer politischer Führung über Jahre mit konsistenter Zielsetzung viele Maßnahmen umgesetzt – nicht nur symbolisch an zentralen Plätzen, sondern auch in den Randbezirken, oft ganz einfach und immer verknüpft mit guter Kommunikation und Beteiligung.
In Deutschland finde ich neben einer ganzen Reihe von Beispielen unterschiedlicher Art in Städten von Konstanz bis Kiel, von Aachen bis Dresden auch die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ bemerkenswert. Über 1.100 Kommunen fordern gemeinsam mehr Flexibilität beim Thema Tempo 30 und haben tatsächlich einen wesentlichen Beitrag zur bereits erwähnten Änderung der StVO geleistet, auch wenn bei dem Thema immer noch viel zu tun ist. Das ist nicht nur ein Fachthema, das ist ein politisches Statement und zeigt, dass die kommunale Verkehrswende kein Spielball parteipolitischer Debatten sein sollte. Auch Kommunen mit CSU- oder CDU-Bürgermeister*innen wollen Veränderung, wenn sie vor Ort für die dort lebenden Menschen Sinn ergibt.
Ein weiteres schönes Beispiel ist der „Tag des guten Lebens“ in Köln: Ein ganzes Stadtviertel wird einen Tag autofrei gemacht – und die Menschen erleben, wie anders öffentlicher Raum genutzt werden kann. Das ist keine Bubble-Veranstaltung, da machen alle mit – von der Kita bis zur Nachbarschaftsinitiative. Solche Erlebnisse schaffen Bewusstsein und Lust auf Veränderung.
„Mobilität betrifft alle – deshalb muss sie auch für alle funktionieren.“
Burkhard Horn
Was würdest du Kommunen, Zivilgesellschaft und Politik empfehlen, um Mobilitätswandel konstruktiv zu gestalten?
Erstens: Zwar eine übergeordnete Strategie mit einem starken Leitbild haben, aber bei der Umsetzung pragmatisch Schritt für Schritt denken. Keine disruptiven Schnellschüsse, sondern langfristige, kontinuierliche Prozesse – das hat sich z.B. in Städten wie Konstanz oder Freiburg bewährt.
Zweitens: Ehrlich kommunizieren. Veränderung ist nötig – aber sie muss als Chance, nicht als Bedrohung vermittelt werden.
Drittens: Beteiligung ernst nehmen. Nicht nur informieren, sondern einbinden, zuhören, gemeinsam gestalten – aber auch die Grenzen von Beteiligung transparent aufzeigen.
Und nicht zuletzt: auf die Alltagstauglichkeit achten. Die besten Pläne nützen nichts, wenn sie an der Lebensrealität der Menschen vorbeigehen. Mobilitätswende muss in den Kiez passen – und in den Terminkalender von Menschen mit Schichtdienst oder Kindern genauso wie in den von Radpendler*innen.
Wenn du fünf bis zehn Jahre in die Zukunft blickst – was würdest du dir wünschen?
Ich wünsche mir, dass wir in zehn Jahren sagen können: Mobilität ist vielfältiger, gerechter und klimafreundlicher geworden. Dass Städte und Dörfer lebenswerter sind, weil wir den öffentlichen Raum besser nutzen. Dass Mobilitätsangebote so gut sind, dass man das eigene Auto nicht mehr vermisst.
Und ich wünsche mir, dass Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung besser zusammenarbeiten – im Sinne eines gemeinsamen Ziels. Die Mobilitätswende ist keine technische Frage, sondern eine kulturelle. Und da braucht es alle – Menschen, die bewegen, und Strukturen, die sie dabei unterstützen.
Vielen Dank für das Gespräch!