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Mobi­li­täts­wen­de bedeu­tet nicht Ver­lust, son­dern mehr Lebensqualität“

17.06.2025

Ein Gespräch mit Burk­hard Horn, Ver­kehrs­exper­te und Bera­ter der Initia­ti­ve Mobi­li­täts­kul­tur, über Chan­cen, Stol­per­stei­ne und die Rol­le der Zivil­ge­sell­schaft auf dem Weg zur nach­hal­ti­gen Mobilitätswende.

Hal­lo Burk­hard! Wie nimmst du den aktu­el­len Stand der Mobi­li­täts­wen­de in Deutsch­land wahr – gesell­schaft­lich und politisch?

Ich glau­be, die Men­schen sind oft schon wei­ter als die Poli­tik. Gera­de in Städ­ten ist sicht­bar, dass sich das Mobi­li­täts­ver­hal­ten ver­än­dert: mehr Fahr­rad, mehr zu Fuß, weni­ger Auto. Der öffent­li­che Nah­ver­kehr hat sich nach der Pan­de­mie gut erholt. Und in vie­len Kom­mu­nen geht man die The­men längst muti­ger an, als es auf Bun­des­ebe­ne wahr­ge­nom­men wird.

Pro­ble­ma­tisch ist aber, dass die Bun­des­po­li­tik häu­fig bremst oder sogar rück­wärts geht. Nach jeder Wahl­pe­ri­ode wird oft vie­les wie­der zurück­ge­dreht. Wir bräuch­ten eine kla­re Rich­tung – auch kom­mu­ni­ka­tiv. Statt zu sagen: Kei­ne Sor­ge, alles bleibt, wie es ist“, soll­te die Bot­schaft sein: Ja, Ver­än­de­rung ist nötig – aber sie kann unser Leben bes­ser machen.“ Das fehlt weitgehend.

Burk­hard Horn setzt sich für nach­hal­ti­ge Mobi­li­tät und lebens­wer­te Städ­te ein. Über 25 Jah­re war er in der öffent­li­chen Ver­kehrs­pla­nung tätig, unter ande­rem im Ber­li­ner Senat. Heu­te berät er Kom­mu­nen und zivil­ge­sell­schaft­li­che Akteu­re an der Schnitt­stel­le von Mobi­li­tät, Stadt­ent­wick­lung und Kli­ma­schutz – auch in der Initia­ti­ve Mobi­li­täts­kul­tur.

Und wie sieht es auf kom­mu­na­ler Ebe­ne aus – wo siehst du dort Chan­cen, wo Hür­den?

Die Kom­mu­nen sind der Ort, wo die Mobi­li­täts­wen­de kon­kret wird. Dort bewe­gen sich die Men­schen, dort neh­men sie ihr Umfeld wahr. Vie­le Städ­te haben auch gute Kon­zep­te, es man­gelt aber oft an Res­sour­cen oder am recht­li­chen Rah­men. Zum Bei­spiel das Stra­ßen­ver­kehrs­recht: Mit der jüngs­ten Novel­le von Stra­ßen­ver­kehrs­ge­setz (StVG) und Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung (StVO) wur­de zwar schon eini­ges erreicht, etwa die Auf­nah­me von Zie­len wie Kli­ma­schutz ins StVG oder die erleich­ter­te Anord­nung bestimm­ter Maß­nah­men in der StVO. Aber oft gel­ten wich­ti­ge Maß­nah­men immer noch als Aus­nah­men, die müh­sam begrün­det wer­den müssen. 

Und dann ist da das gro­ße The­ma Finan­zie­rung: Vie­le Städ­te müss­ten und wol­len eigent­lich den ÖPNV aus­bau­en – aber müs­sen Leis­tun­gen kür­zen, weil ihnen das Geld fehlt. Auch der För­der­mit­tel­dschun­gel hilft oft nur bedingt wei­ter. Für die Bereit­schaft zum Wan­del in der Gesell­schaft ist der Bund wie schon erwähnt defi­ni­tiv mit­ver­ant­wort­lich und kann durch kon­tra­pro­duk­ti­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on ver­än­de­rungs­wil­li­gen Kom­mu­nen das Leben schwe­rer machen. 

Du hast gesagt, dass die Men­schen oft wei­ter sind als die Poli­tik. Gleich­zei­tig gibt es ja auch vie­le Ängs­te und Wider­stän­de. Wie erklärst du dir das? 

Ver­än­de­rung wird häu­fig als Ver­lust emp­fun­den – gera­de bei der Mobi­li­tät. Wenn man den Leu­ten sagt: Du sollst dein Auto weni­ger nut­zen, dann ist das für vie­le erst­mal ein Ein­schnitt in Rou­ti­nen, in Gewohn­tes. Dazu kommt: Die Alter­na­ti­ven sind oft nicht bekannt oder nicht attrak­tiv genug. 

Wir müs­sen als Gesell­schaft viel stär­ker den Mehr­wert des Wan­dels zei­gen. Mobi­li­täts­wen­de ist ja kein Ver­zichts­pro­gramm, son­dern eine Chan­ce auf mehr Lebens­qua­li­tät, auf gesün­de­re Städ­te, auf weni­ger Lärm und mehr Sicher­heit. Aber dafür braucht es eine posi­ti­ve, mut­ma­chen­de Kom­mu­ni­ka­ti­on – und die fehlt bis­lang weit­ge­hend. Aller­dings darf man auch kei­ne Ver­spre­chun­gen machen, die nicht zu hal­ten sind. Im länd­li­chen Raum etwa wird das Auto auch auf län­ge­re Sicht wei­ter­hin eine zen­tra­le Rol­le spielen. 

Die Ver­kehrs­wen­de braucht ehr­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­on. Ver­än­de­rung ist nötig – aber sie soll­te als Chan­ce, nicht als Bedro­hung ver­mit­telt werden.”

Burk­hard Horn

Wie gelingt es, ver­schie­de­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen bei die­ser Ver­än­de­rung mit­zu­neh­men – auch mit Blick auf sozia­le Gerech­tig­keit und Teil­ha­be?

Das ist zen­tral. Mobi­li­täts­wen­de kann nur funk­tio­nie­ren, wenn sie gerecht gedacht wird. Es bringt nichts, mit dem mora­li­schen Zei­ge­fin­ger auf SUV-Fahrer*innen zu zei­gen. Und es bringt auch nichts, wenn sich Pro­jek­te aus­schließ­lich auf urba­ne, aka­de­misch gepräg­te Milieus fokussieren. 

Vie­le Ver­kehrs­in­itia­ti­ven haben einen nach­voll­zieh­ba­ren Fokus, aber der Kon­text wird oft aus­ge­blen­det. Wenn sich Pro­jek­te nur auf Innen­stadt­quar­tie­re kon­zen­trie­ren, füh­len sich Men­schen in den Außen­be­zir­ken oder im länd­li­chen Raum abge­hängt. Dabei brau­chen wir Lösun­gen für unter­schied­li­che Lebens­la­gen – und das heißt auch: Ver­ständ­nis zei­gen für rea­le Mobi­li­täts­zwän­ge. Nicht jede*r kann ein­fach mal so das Auto ste­hen las­sen. Es braucht Ange­bo­te, nicht nur Appelle. 

Wel­che Rol­le spielt dabei die Zivil­ge­sell­schaft?

Ich fin­de: eine enorm wich­ti­ge. Zivil­ge­sell­schaft­li­che Initia­ti­ven haben oft eine viel höhe­re Glaub­wür­dig­keit als staat­li­che Stel­len. Wenn Bür­ge­rin­nen und Bür­ger selbst aktiv wer­den, eige­ne Pro­jek­te star­ten, dann hat das eine ande­re Wir­kung – es ist näher dran am All­tag, an den rea­len Bedürf­nis­sen. Und es macht den Wan­del greifbarer. 

Zivil­ge­sell­schaft kann Din­ge sicht­bar machen, neue Per­spek­ti­ven eröff­nen, Men­schen mit­neh­men – gera­de, wenn es dar­um geht, Mobi­li­tät nicht nur tech­nisch, son­dern auch kul­tu­rell zu ver­än­dern. Des­halb fin­de ich es auch so wich­tig, dass es För­der­struk­tu­ren gibt, die genau sol­che Initia­ti­ven stärken. 

Was macht die Initia­ti­ve Mobi­li­täts­kul­tur in die­sem Zusam­men­hang besonders?

Die Initia­ti­ve ver­folgt einen ganz eige­nen, star­ken Ansatz: Sie för­dert gezielt zivil­ge­sell­schaft­li­che Mobi­li­täts­pro­jek­te, die über­trag­bar sind, Wir­kung ent­fal­ten und ande­re Akteu­re mit­den­ken. Also nicht nur Leucht­tür­me im eige­nen Kiez, son­dern Pro­jek­te, die sich mul­ti­pli­zie­ren las­sen – mit ech­ter Strahlkraft.

Außer­dem legt die Initia­ti­ve viel Wert auf Aus­tausch und gegen­sei­ti­ges Ler­nen. Ich fin­de es groß­ar­tig, wie vie­le enga­gier­te Men­schen es auch außer­halb der Groß­städ­te gibt, in klei­nen Orten, in länd­li­chen Räu­men – und wie viel Poten­zi­al da liegt. Oft ist gera­de dort der Zugang zu För­der­mit­teln schwie­rig, und da ist es beson­ders wich­tig, dass es Pro­gram­me wie die Initia­ti­ve Mobi­li­täts­kul­tur gibt.

Gibt es Leucht­turm­pro­jek­te, von denen wir ler­nen kön­nen – in Deutsch­land oder international?

Du meinst außer den Pro­jek­ten der Initia­ti­ve Mobi­li­täts­kul­tur? Ein paar fal­len mir da schon ein, aber nicht alle sind eins zu eins über­trag­bar. Trotz­dem kann man natür­lich viel von Ihnen ler­nen. Inter­na­tio­nal zum Bei­spiel Paris: Die Stadt hat unter kla­rer poli­ti­scher Füh­rung über Jah­re mit kon­sis­ten­ter Ziel­set­zung vie­le Maß­nah­men umge­setzt – nicht nur sym­bo­lisch an zen­tra­len Plät­zen, son­dern auch in den Rand­be­zir­ken, oft ganz ein­fach und immer ver­knüpft mit guter Kom­mu­ni­ka­ti­on und Beteiligung.

In Deutsch­land fin­de ich neben einer gan­zen Rei­he von Bei­spie­len unter­schied­li­cher Art in Städ­ten von Kon­stanz bis Kiel, von Aachen bis Dres­den auch die Initia­ti­ve Lebens­wer­te Städ­te durch ange­mes­se­ne Geschwin­dig­kei­ten“ bemer­kens­wert. Über 1.100 Kom­mu­nen for­dern gemein­sam mehr Fle­xi­bi­li­tät beim The­ma Tem­po 30 und haben tat­säch­lich einen wesent­li­chen Bei­trag zur bereits erwähn­ten Ände­rung der StVO geleis­tet, auch wenn bei dem The­ma immer noch viel zu tun ist. Das ist nicht nur ein Fach­the­ma, das ist ein poli­ti­sches State­ment und zeigt, dass die kom­mu­na­le Ver­kehrs­wen­de kein Spiel­ball par­tei­po­li­ti­scher Debat­ten sein soll­te. Auch Kom­mu­nen mit CSU- oder CDU-Bürgermeister*innen wol­len Ver­än­de­rung, wenn sie vor Ort für die dort leben­den Men­schen Sinn ergibt.

Ein wei­te­res schö­nes Bei­spiel ist der Tag des guten Lebens“ in Köln: Ein gan­zes Stadt­vier­tel wird einen Tag auto­frei gemacht – und die Men­schen erle­ben, wie anders öffent­li­cher Raum genutzt wer­den kann. Das ist kei­ne Bubble-Ver­an­stal­tung, da machen alle mit – von der Kita bis zur Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve. Sol­che Erleb­nis­se schaf­fen Bewusst­sein und Lust auf Veränderung.

Mobi­li­tät betrifft alle – des­halb muss sie auch für alle funktionieren.“

Burk­hard Horn

Was wür­dest du Kom­mu­nen, Zivil­ge­sell­schaft und Poli­tik emp­feh­len, um Mobi­li­täts­wan­del kon­struk­tiv zu gestal­ten?

Ers­tens: Zwar eine über­ge­ord­ne­te Stra­te­gie mit einem star­ken Leit­bild haben, aber bei der Umset­zung prag­ma­tisch Schritt für Schritt den­ken. Kei­ne dis­rup­ti­ven Schnell­schüs­se, son­dern lang­fris­ti­ge, kon­ti­nu­ier­li­che Pro­zes­se – das hat sich z.B. in Städ­ten wie Kon­stanz oder Frei­burg bewährt. 

Zwei­tens: Ehr­lich kom­mu­ni­zie­ren. Ver­än­de­rung ist nötig – aber sie muss als Chan­ce, nicht als Bedro­hung ver­mit­telt werden. 

Drit­tens: Betei­li­gung ernst neh­men. Nicht nur infor­mie­ren, son­dern ein­bin­den, zuhö­ren, gemein­sam gestal­ten – aber auch die Gren­zen von Betei­li­gung trans­pa­rent aufzeigen. 

Und nicht zuletzt: auf die All­tags­taug­lich­keit ach­ten. Die bes­ten Plä­ne nüt­zen nichts, wenn sie an der Lebens­rea­li­tät der Men­schen vor­bei­ge­hen. Mobi­li­täts­wen­de muss in den Kiez pas­sen – und in den Ter­min­ka­len­der von Men­schen mit Schicht­dienst oder Kin­dern genau­so wie in den von Radpendler*innen.

Wenn du fünf bis zehn Jah­re in die Zukunft blickst – was wür­dest du dir wün­schen?

Ich wün­sche mir, dass wir in zehn Jah­ren sagen kön­nen: Mobi­li­tät ist viel­fäl­ti­ger, gerech­ter und kli­ma­freund­li­cher gewor­den. Dass Städ­te und Dör­fer lebens­wer­ter sind, weil wir den öffent­li­chen Raum bes­ser nut­zen. Dass Mobi­li­täts­an­ge­bo­te so gut sind, dass man das eige­ne Auto nicht mehr vermisst. 

Und ich wün­sche mir, dass Zivil­ge­sell­schaft, Poli­tik und Ver­wal­tung bes­ser zusam­men­ar­bei­ten – im Sin­ne eines gemein­sa­men Ziels. Die Mobi­li­täts­wen­de ist kei­ne tech­ni­sche Fra­ge, son­dern eine kul­tu­rel­le. Und da braucht es alle – Men­schen, die bewe­gen, und Struk­tu­ren, die sie dabei unterstützen. 

Vie­len Dank für das Gespräch!