Querwechsler*innen in der Verwaltung – Teil 1
Querwechsler*innen in der Verwaltung: Warum sie weder Lückenfüller noch Heilsbringer sind
In den kommenden Jahren müssen aufgrund altersbedingter Austritte tausende Stellen in der deutschen Verwaltung neu besetzt werden. Querwechsler*innen können eine Antwort auf diesen Bedarf sein – wenn sie weder über- noch unterschätzt werden und die Verwaltung die richtige Umgebung für sie schafft.
Dieser Artikel ist der erste Teil einer Reihe zu Querwechsler*innen in der Verwaltung. Weitere Artikel zu dem Thema folgen in den kommenden Wochen.
2014 waren 45 Prozent der Führungskräfte in deutschen Verwaltungen Jurist*innen. Damit landete Deutschland im europäischen Vergleich auf Platz eins (Lapuente/Suzuki, 2020). Rechtssicherheit ist und bleibt wichtig. Doch um den Herausforderungen unserer immer komplexer werdenden Welt zu begegnen, braucht die Verwaltung auch neue Perspektiven und vielfältigere Expertisen in ihren Reihen. Wie gelingt dieser Spagat? Querwechsler*innen können eine zentrale Rolle dafür spielen.
So unterstützen Querwechsler*innen Verwaltungstransformation
Was sind Querwechsler*innen eigentlich? Laut dem Querwechsler-Netzwerk sind es „Menschen, die nach einer ersten Karriere im privaten Sektor in den öffentlichen Sektor gewechselt sind“. Das Netzwerk legt seinen Fokus auf Führungskräfte. Querwechsler*innen gibt es aber auf allen Ebenen in der Verwaltung. Ihre Motivation für einen Wechsel dorthin? Unter anderem die sinnstiftenden Tätigkeiten, die Chance, an der sozial-ökologischen Transformation mitzuwirken und auch deutlich attraktivere Arbeitszeitregelungen.
Laut einer Kurzstudie der Hertie School (2020) prägen Querwechsler*innen die Verwaltung im Austausch dafür in drei Aspekten:
- Sie bringen neue Kompetenzen und Methodenwissen ein.
Querwechsler*innen tragen beispielsweise Expertisen ins Projekt- und Change-Management sowie neue methodische Ansätze in Behörden. - Sie stärken die Transformationsfähigkeit der Verwaltung.
Querwechsler*innen setzen Impulse auf Kulturebene: Sie hinterfragen und reflektieren Bestehendes anders als Mitarbeitende mit jahrelanger Verwaltungserfahrung. Sie bringen ein weniger hierarchisch geprägtes Verständnis von Management und Führung, feedbackorientierte Führungskultur sowie neue Formen der Zusammenarbeit mit. - Sie bauen Brücken zwischen der Verwaltung und anderen Sektoren.
Querwechsler*innen bringen ein eigenes Netzwerk mit, haben ein tiefgehendes Verständnis davon, wie andere Sektoren funktionieren und Erfahrung im Umgang mit unterschiedlichen Interessenlagen.
Die richtige Expertise an der richtigen Stelle
Wie können Querwechsler*innen dieses Potenzial gut in deutsche Verwaltungen einbringen? In unserem Artikel zur innovativen Verwaltung haben wir gezeigt: Rechtssicherheit und Innovation können und müssen innerhalb der Verwaltung koexistieren. Dabei hilft es, zwischen zwei Arbeitsmodi zu unterscheiden: Der vertraute Standardmodus sorgt an den wichtigen Stellen für Rechtssicherheit. Im Innovationsmodus ist es ausdrücklich erwünscht, alte Pfade zu verlassen, Neues auszuprobieren, auch Fehler zu machen und aus ihnen zu lernen. In diesem Bereich in der Verwaltung profitiert die Verwaltung besonders von Querwechsler*innen und den diversen Expertisen, die sie mitbringen.
Dr. Liane Schmitt (LinkedIn) ist Fachbereichsleiterin Organisation und Personal in Mannheim. Sie wechselte selbst vor zehn Jahren aus der Privatwirtschaft in die Verwaltung und weiß deshalb aus eigener Erfahrung: „Es kommt auf die Stelle an, auf die du dich beworben hast und wo du dich in der Verwaltung befindest“ sagt sie. „Wenn dort die Innovation von außen gesucht und willkommen geheißen wird, dann kannst du in der Verwaltung viel erreichen und bewegen“.
Dr. Liane Schmitt, Fachbereichsleiterin Organisation und Personal in Mannheim
„Wenn die Innovation von außen gesucht und willkommen geheißen wird, dann kannst du in der Verwaltung viel erreichen und bewegen.“
Gleichzeitig weist Dr. Liane Schmitt auch darauf hin, dass es in einigen Bereichen Zuständigkeiten und starre Abläufe gibt, die dort richtig und wichtig seien. Die Studie der Hertie School unterstreicht ebenfalls, dass Querwechsler*innen „[…] Einsicht in und insbesondere Sensibilität für die Funktionsmechanismen, Strukturen und Prozesse der Verwaltung ebenso wie ein Verständnis der Besonderheiten der Verwaltungskultur“ mitbringen bzw. entwickeln müssten. Die Studie betont: Offenheit für Verwaltungskultur und die Werte Unparteilichkeit, Integrität und Fairness sind für den nachhaltigen Erfolg von Querwechsler*innen unverzichtbar (Hertie School, 2020).
Ob Querwechsler*in oder Dienstälteste*r: Alle sind wichtig!
Bei all den Möglichkeiten, wie Querwechsler*innen die Verwaltung voranbringen können, darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass sie besser wären als erfahrene Verwaltungsmitarbeitende, betont Dr. Liane Schmitt: „Es darf nicht so rüberkommen, als hätten unsere langjährigen Verwaltungsmitarbeitenden keine oder nicht ausreichend Expertise. Das wäre nicht fair. Wir sagen stattdessen: Alle Perspektiven sind wichtig! Die, die schon jahrelang dabei sind und die, die frisch dazukommen.“ Auch deshalb stellen Schmitt und ihr Team bei der Gewinnung neuer Mitarbeitender für die Stadt Mannheim nicht den immanenten Fachkräftemangel in den Vordergrund. Stattdessen zeigen sie auf, wie vielfältig die Möglichkeiten innerhalb der Verwaltung sind, um das direkte Lebensumfeld und den Alltag der Bürger*innen vor Ort aktiv mitzugestalten: „Wir sprechen nicht davon, was die Stadtverwaltung braucht, sondern betonen eher die Frage: Was kannst du uns bieten? Was bringst du mit?“
Dr. Liane Schmitt, Fachbereichsleiterin Organisation und Personal in Mannheim
„Alle Perspektiven sind wichtig! Die, die schon jahrelang dabei sind und die, die frisch dazukommen.”
Ist die Verwaltung überhaupt bereit für Querwechsler*innen?
Gibt die Verwaltung dem, was Querwechsler*innen mitbringen einen guten Rahmen? Dr. Schmitt findet, dass Verwaltungen gezielt passende Strukturen und eine Kultur der Offenheit für sie und ihre Erfahrungen und Perspektiven schaffen müssen: „Wir unternehmen unterschiedliche Dinge, um ihnen zu vermitteln: ‚Ihr seid hier Willkommen, liebe*r Querwechsler*innen!“ Hier drei Beispiele dafür, wie das in Mannheim genau aussieht:
Beispiel 1 – Führungskräfte, die nachfragen
Teil des Onboardings ist es, dass Führungskräfte ihre neuen Mitarbeitenden fragen: „Was kannst du noch einbringen, was wir hier noch nicht kennen?“ Ziel ist es, neue Ideen oder Ansätze sichtbar zu machen und ihnen Raum zu geben. In regelmäßigen Mitarbeitendendialogen mit dem Oberbürgermeister sind die Erkenntnisse der Querwechsler*innen aus dem Verwaltungsalltag ebenfalls Thema.
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Beispiel 2 – Wo sind deine Hä’s?
Wer neu ist, wundert sich oft. Wer den Sektor wechselt, wundert sich noch öfter. In Mannheim gibt es deshalb Räume für produktives Staunen, denn: Gerade diese frischen Perspektiven eröffnen wertvolle Diskussionsräume. Die Zeitfenster, in denen sich neue Mitarbeitende wundern, staunen oder Dinge hinterfragen sind allerdings klein. Deshalb gibt es in Mannheim regelmäßig Workshops, in denen neue Mitarbeitende gefragt werden: Was irritiert dich? Was läuft anders als erwartet? Welche Hä’s gab es bei dir in den ersten Wochen und Monaten?
Beispiel 3 – Vernetzung & Mentoring
Formate, in denen sich Mitarbeitende über Bereichs‑, Hierarchie- und Sektorengrenzen hinweg miteinander vernetzen, sind unverzichtbar: „Wir wollen ja nicht nur, dass neue Mitarbeitende sich in ihrer Abteilung vernetzen, sondern dass sie auch darüber hinaus Verbindungen knüpfen“, sagt Dr. Liane Schmitt. Dafür bietet Mannheim auch konkrete Personalentwicklungsangebote: Im internen und externen Mentoring begleiten erfahrene Führungskräfte neue oder angehende Führungskräfte für eine gewisse Zeit. Sie unterstützen bei der Übernahme neuer Aufgaben und beruflichen Entwicklung. Neben dem stadtinternen Mentoring gibt es auch ein Cross-Company-Mentoring Programm für einen unternehmensübergreifenden Austausch speziell für weibliche Nachwuchskräfte.
„Wir haben noch viel Potenzial“
Verwaltungen bieten Raum für neue Ideen und echtes Engagement. Wer an den richtigen Stellen sucht, findet offene Türen und viele Chancen, findet auch Dr. Liane Schmitt. „Hier kannst du was gestalten. Hier kannst du was tun. Wir haben noch viel Potenzial“. Egal ob Querwechsler*in oder erfahrene Verwaltungsmitarbeiter*in: In der Verwaltung wird beides gebraucht, damit der Staat zukunftsfähig wird.
Quellen:
Lapuente, V., & Suzuki, K. (2020). Politicization, Bureaucratic Legalism, and Innovative Attitudes in the Public Sector. Public Administration Review, 80, 454 – 467.
Hammerschmid, G. & Hustedt, T. (2020). Querwechsler als Impulsgeber für die Verwaltung von morgen. Centre for Digital Governance der Hertie School.